10 Gründe, warum ich das Redenschreiben liebe

Ich bin ja zum Freien Reden gekommen wie die Jungfrau zum Kinde – 43 Jahre lang hatte ich es bis zu meiner Ausbildung großenteils erfolgreich vermieden, im Mittelpunkt zu stehen oder vor größeren Gruppen zu sprechen. Man kann also nicht gerade behaupten, dass es ein besonders naheliegender Karriereschritt für mich war, mich zur Freien Rednerin ausbilden zu lassen.

Und doch ist es tatsächlich ein sehr naheliegender Schritt für mich, denn ich liebe das Schreiben. Und das Redenschreiben sogar noch mehr. (Naheliegend ist es noch aus einem anderen Grund, nämlich aus meiner absoluten Überzeugung, dass, wie es meine Ausbilder sagen, jeder Mensch eine gute Zeremonie verdient hat, aber dazu ein andermal mehr.)

Warum ich das Redenschreiben so liebe? Das sind meine 10 besten Gründe:

1. Redenschreiben ist wie Geschichtenerzählen.

Ich liebe Worte und Geschichten. Wenn es überhaupt etwas über mich zu wissen gibt, dann, dass ich ohne ein Buch das Haus nicht verlasse. Meine Eltern haben immer viel gelesen, Bücher waren bei uns im Haus niemals Luxusgut oder Mangelware. Heute wie damals liebe ich gute Geschichten, in denen man völlig versinken kann.

Beim Redenschreiben geht es genau darum: Euch und Euren Gästen eine Geschichte zu erzählen, in der Ihr die Hauptrolle spielt. In unserem Vorgespräch lerne ich Euch kennen – Eure gemeinsame Geschichte, Eure Eigenarten, Eure höchsten Hochs und manchmal auch die tiefsten Tiefs. Nur nacherzählen ist langweilig – deswegen darf ich aus allem, was Ihr mit mir teilt, eine Geschichte nur für Euch erfinden. Ich darf Euch Dinge erleben lassen, die Euch im echten Leben noch nicht passiert sind (und vielleicht auch niemals passieren werden), ich darf Euch und Eure Gäste gut unterhalten, ich darf Eure Persönlichkeit zum Strahlen bringen. Dass ich Euch dabei nie bloßstellen werde, ist für mich selbstverständlich und Ehrensache. Ihr seid die Hauptpersonen, in der Zeremonie wie in Eurer Geschichte.

2. Ich darf Euren Gästen etwas mitgeben.

Ein möglichst hoher Unterhaltungswert ist aber nur eine der vielen Facetten meiner Reden. Vielmehr darf ich Euch und Euren Gästen in meinen Worten auch etwas mitgeben. Keine Rede erfinde ich ja im Kopf, sondern sie beruht auf dem, was Ihr mir erzählt. Meine Aufgabe ist es, darin das Besondere zu finden, das Euch als Paar oder Eltern perfekt beschreibt. Oder aus den Anekdoten über den Verstorbenen seinen Charakter herauszudestillieren.

An die Einzelheiten einer Rede erinnert man sich schon in wenigen Wochen kaum noch. Die Besonderheiten, Charaktere, Werte und Eigenheiten der Hauptpersonen aber bilden die Atmosphäre der Rede und der Zeremonie. Sie bleiben im Gedächtnis. Vielleicht lernt Ihr Euch, Euer Kind, vielleicht auch den geliebten Menschen, um den Ihr trauert, noch einmal ganz neu kennen und schätzen. Das sind die Dinge, die ich Euch und Euren Gästen mitgeben darf.

3. Ich darf überraschen.

Ihr kennt Euch, Ihr kennt einander. Ihr kennt Euer KiWi-Kind, und jeder von Euch hat Geschichten und Anekdoten über Eure liebe Verstorbene zu erzählen. Ich dagegen lerne Euch in nur wenigen Stunden kennen – und im Fall einer Trauerfeier begegne ich der Hauptperson leider überhaupt nicht persönlich.

Und dennoch schreibe ich eine Rede, die zu Euch passt und zu sonst niemandem. Eine gute Rede kann man nur einmal halten, weil sie für genau jetzt, für ganz genau diesen Moment geschrieben wurde und für die Personen, die jetzt und hier gefeiert werden. Und deswegen freue ich mich, Euch überraschen zu dürfen – mit der Geschichte, die ich über Euch erzähle, mit meinen Beobachtungen über Euch, mit meinen Ideen.

4. Im Redenschreiben darf ich meine Kreativität ausleben.

Ich bin ziemlich kreativ, aber die Möglichkeiten, die mir dafür zu Gebote stehen, sind durchaus begrenzt. Malen fällt schon mal aus. Ich bekomme schon kaum eine gerade Linie mit Bleistift hin, Zeichnen ist also auch raus. Fotografieren dagegen geht schon besser – ich liebe es, Momente einzufangen anstatt gestellte Motive abzulichten. Hier hatte ich schon mal einen Instagram-Post dazu geschrieben (da haben wir vom streets.collective gerade unsere Ausstellung im Balott am Trierer Kornmarkt eröffnet), wie man nämlich auch mit Fotos ganz wunderbar Geschichten erzählen kann.

Mein Medium der Wahl sind aber am Ende immer noch die Worte. Damit kann ich am besten umgehen, damit habe ich die meiste Erfahrung. Nicht umsonst schreibe ich einen Blog. Nicht umsonst stapeln sich in meiner Wohnung Romane, Sachbücher, Notizbücher, Blöcke und Stifte.

Indem ich Eure Geschichte erzähle, erlaubt Ihr mir, das zu tun, was ich liebe.

5. Output statt Input.

Ich konsumiere sehr viele Inhalte – vielleicht zu viel? Als echter Nachrichtenjunkie fange ich schon beim Zähneputzen mit dem Deutschlandfunk an, im Auto auf dem Weg zur Arbeit oder auch bei Haushalt und Erledigungen folgen Hörbücher und Podcasts, nach Feierabend belege ich viele Kurse (gerade zum Beispiel den tollen Human-Design-Kurs von Moni Nau), gucke ein paar Folgen meiner aktuellen Lieblingsserie, und im Bett lese ich noch ein paar Seiten in meinem aktuellen Krimi oder Roman.

Kurzum: Ich habe sehr viel Input in meinem Leben. Beim Redenschreiben dagegen geht es um den Output, und natürlich findet sich vieles von dem darin wieder, was ich in all den Jahren aufgenommen, gelesen, gesehen, gehört habe (ich kann zum Beispiel in fast allen Lebenslagen mit Simpsons-Zitaten glänzen, obwohl das im echten Leben leider oft erschütternd wenig Wertschätzung erfährt). Das hilft mir, die Balance zu halten zwischen Konsumieren und Produzieren.

6. Keine Angst vor dem leeren Blatt, denn alles beginnt mit Euch.

Wer schreibt, kennt auch die Schreibblockade. Die Ursache ist meistens, dass man zwar die Idee im Kopf schon fertig hat, sie aber nicht aufs Papier bringt. Weil es sich zu groß anfühlt oder man nicht weiß, wo man anfangen soll.

Beim Redenschreiben beginnt alles mit Euch: Im Vorgespräch klären wir alles, was ich über Euch wissen muss, um eine Rede zu schreiben, die Euch perfekt trifft und beschreibt. Ich muss also gar nicht mit einem leeren Blatt beginnen und kann somit den größten Stolperstein von Beginn an umgehen. Außerdem habe ich in der Ausbildung gelernt, wie ich vorgehen muss, um aus dem Interview mit Euch eine tolle Geschichte und eine wunderbare Rede zu machen.

7. Ich lerne die ulkigsten Sachen.

In meiner Rede geht es natürlich um Euch – aber nacherzählen, was Ihr ohnehin schon tut und erlebt, will ich natürlich nicht. Deswegen darf ich mir eine Geschichte ausdenken und Euch – fiktiv – in eine völlig neue Situation bringen. In den meisten Fällen kenne ich mich in so einer Situation aber auch gar nicht aus – in einer Rede habe ich zum Beispiel mein Hochzeitspaar zum New York City Marathon geschickt, und den habe ich selbst natürlich auch noch nicht selbst erlebt. Also geht es dann ans Recherchieren:

Zum Beispiel habe ich so gelernt, dass beim NYC Marathon 2022 über 47.800 Läufer*innen aus 131 Nationen das Ziel erreicht haben. Gestartet sind etwas mehr als 50.000 – und beworben haben sich fast doppelt so viele. Und übrigens wurden über 1,4 Millionen Plastikbecher an den Versorgungsstationen ausgegeben. Bei vielen Laufveranstaltungen gehört es deswegen inzwischen dazu, die Läufer und Läuferinnen mit Silikonbechern auszustatten, die ganz klein zusammengeknautscht, an der Kleidung befestigt und immer wieder aufgefüllt werden können.

Auch so was lernt man durchs Redenschreiben 😊

8. Redenschreiben darf das ganze Leben abbilden.

In meinen Reden darf es um alles gehen, das ist schon allein den verschiedenen Anlässen geschuldet: Wenn wir einen geliebten Menschen verabschieden, erfordert das natürlich eine ganz andere Rede als bei einer Trauung oder einem Kinderwillkommensfest.

Dennoch: Darf nicht auch bei einer Beerdigung einmal gelacht werden? Und darf es bei einer Hochzeit nicht auch ruhige, tiefe Momente geben – bei aller Freude und Fröhlichkeit? Das Redenschreiben erlaubt mir, die ganze Bandbreite an Leben zu betrachten und mit Euch und Euren Gästen zu teilen.

9. Mein Prozess verändert sich.

Mit das Spannendste, seit ich mit dem Redenschreiben angefangen habe: Ich schreibe jetzt anders. Denn eine Rede ist etwas anderes als ein Text, der gelesen werden soll, und sie schreibt sich auch völlig anders.

Gleich geblieben ist, wie ich mit den Notizen arbeite, die ich mir im Gespräch mit Euch gemacht habe. Ich sortiere, was wichtig ist, ich finde Eure Geschichte, ich entwickle einen Ablauf und einen Einstieg in die Geschichte.

Und dann rede ich. Ja wirklich – Eure Rede entsteht, indem ich sie halte. Ich lege Kilometer zurück, die ich im Wohnzimmer auf und ab wandere, indem ich vor mich hin Ideen entwickle. Immer wieder kehre ich zurück an den Schreibtisch und schreibe auf, was ich gesagt habe. So lebt die Rede und kann sich organisch entwickeln anstatt dass ich sie einfach herunterschreibe. Manchmal bin ich selbst überrascht, was dabei zum Vorschein kommt.

10. Mit jeder Rede werde ich besser.

Natürlich gebe ich alles, um die beste Rede aller Zeiten für Euch zu schreiben. Klar ist aber auch: Übung macht den Meister. So wie sich mein Prozess weiterentwickeln darf, finde ich auch mehr und mehr meine Stimme. Ich finde heraus, was gut funktioniert und was ich besser machen kann. Je mehr Reden ich schreiben und halten darf, umso besser werde ich. Umso schneller werde ich auch beim Schreiben. Umso mehr und bessere Ideen kann ich entwickeln.

Ich bin so gespannt darauf, wie es weitergeht – und ich bin dankbar für jede Rede, die ich schreiben und halten darf, weil ich nicht nur als Rednerin, sondern auch persönlich daran nur wachsen kann.

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